Montag, 16. Juni 2014

Amnesty und die drohende Verabschiedung von den Menschenrechten –

und von der inneren Transparenz und Demokratie.

Anmesty International Protestplakat
Free Ressource
(Protest Resorces)

 Aufruf an alle Amnesty-Mitglieder, sich zu informieren und einzumischen. Hier findet eine grundlegende Abstimmung statt, offenbar ohne die Mitglieder einzubeziehen oder angemessen zu informieren. Lasst Euch das nicht aus der Hand nehmen.

Hintergrund

 

In vielen Ländern der Welt ist Prostitution völlig verboten und die Menschen in der Prostitution, hauptsächlich Frauen, aber auch Kinder und Männer sind den Brutalitäten nicht nur der Freier oder Zuhälter, sondern auch der Polizei praktisch schutzlos ausgeliefert. Verhaftungen wegen des Mitführens von Kondomen, Vergewaltigungen auf dem Weg zur Polizeistation, Vorstrafen, Gefängnisaufenthalte, die dann eine Integration in die Gesellschaft noch schwieriger machen, neue Traumatisierungen und Verletzungen während die vorhandenen noch lange nicht überwunden sind – es ist wirklich die Aufgabe großer und angesehener Menschenrechtsorganisationen, sich um die Menschenrechtsverletzungen an diesen Frauen (Kindern, Männern) zu kümmern.

Umso mehr schockiert ein von Amnesty International vorgelegtes Grundlagenpapier, über das verschiedene Amnesty Ländergruppen dieser Tage abstimmen und dies weitestgehend ohne Einbezug und ohne Information der Mitglieder.

Der Impuls für dieses Papier geht nicht von den betroffenen Ländern aus, oder von Menschen, die sich auf Grund ihrer verzweifelten Situation davon wenigstens minimale Verbesserungen der Situation versprechen könnten. Im Gegenteil – indigene Frauen, Ureinwohner_Innen gehören zu den er- (und inzwischen ver-) bittersten Gegner_Innen.

Der Impuls geht von Westeuropa aus, Großbritannien um es genau zusagen, also aus dem Zentrum der reichen, weißen Welt. Geschrieben wurde das Grundlagenpapier, das vom internationalen Sekretariat in London aufgenommen wurde und von dort aus verbreitet wird, von Douglas Fox, einem der bekanntesten Bordellbesitzer (mehrere) in Nordengland.

Dieses Papier sieht nicht nur die Entkriminalisierung der Menschen, vor allem Frauen, in der Prostitution vor. Dieser Forderung schließen wir uns durchaus an, sie ist Kernbestand des schwedischen/nordischen Modells. Es geht in dieser von vielen Geschäftsstellen von Amnesty International verbreiteten Politik vor allem um die Legalisierung von Zuhälterei, Bordellbetrieb und anderen Formen der wirtschaftlichen Kontrolle von Prostituierten, also darum, den Zugriff von Ausbeuter_Innen auf die Betroffenen unter Verwendung einer politisch bereinigten Sprache von Strafverfolgung frei zu stellen. Und um die Legalisierung der enormen Gewinne aus diesem Geschäft.


Bei den Abstimmungen war und ist es Überlebenden und Aussteiger_Innen aus der Prostitution gar nicht oder kaum möglich, angehört zu werden. Prostitutionskritische Stimmen werden gezielt ausgeblendet, Mitglieder nicht informiert, das Thema insgesamt mit irreführender Bebilderung kurzfristig auf die Tagesordnungen gesetzt, und wenn Alternativen angesprochen wurden, so in extrem verzerrter Weise. Mitglieder der verschiedenen (westlichen) Lobbygruppen der Sexindustrie, häufig mit wenigen Mitgliedern und häufig genug mit immer wieder den selben Mitgliedern, haben hingegen keine Probleme, sich Gehör zu verschaffen und die Politik Amnestys mit ihrer politisch bereinigten Sprache zum Thema – „Sex work“ als Arbeit wie jede andere – und mit ihren gezielten Fehlinformationen zum schwedischen Modell zu beeinflussen.

Dies belegen Erfahrungsberichte (und daraus resultierende Aktionen) aus den USA, aus Großbritannien und aus Australien. Auch in Deutschland ist es nicht einmal für Amnesty-Mitglieder möglich, sinnvolle Informationen dazu zu erhalten. „Ja, über die Pfingsttage wurde abgestimmt. Für mehr Informationen wenden Sie sich bitte ….“ Die Email-Variante des berühmten Buchbinders Wanninger.

Nach der Abstimmung in den verschiedenen Ländern geht das Thema nach London, wo das Amnesty-Exekutivkomitee im Herbst über den Vorschlag des Sekretariats entscheiden wird. Wenn hier keine Entscheidung fällt, wird dieser Vorschlag dem Internationalen Rat, dem obersten Amnesty-Gremium vorgelegt. Das nächste Zusammentreten dieses Gremiums ist im August 2015.

Wir können uns nicht vorstellen, dass alle Mitglieder einer Menschenrechtsorganisation, die von sich behauptet, bei Gewalt gegen Frauen und Mädchen Schwerpunkte zu setzen (und die das auch tut), diese von oben vorgegebene unkritische Haltung zur Sexindustrie und zum System der Prostitution teilen. Wir können uns noch weniger vorstellen, dass die Mitglieder Amnesty Internationals keinen Wert auf Einbeziehung legen oder über eine so weitreichende Politik abstimmen wollen, ohne vorher informiert worden zu sein. Einige von uns sind bei Amnesty International und hätten sich hier erheblich mehr Offenheit gewünscht.

Bei Amnesty International geht es um die Prostitution weltweit. In vielen Ländern ist sie völlig kriminalisiert, und die Repressalien und ein brutales und von keinerlei Gesetzen gedecktes Vorgehen der Polizei treffen alleine die Menschen in der Prostitution. Deswegen sprechen wir uns für die völlige Entkriminalisierung der Frauen, Kinder und Männer in der Prostitution ebenso aus wie für die nachhaltige Schulung der Polizei und die Unterstützung der Prosituierten – of the prostituted persons, was das deutsche Wort schon aussagt.

Eine Legalisierung der Ausbeutung um die Prostitution herum, von Zuhälterei, Menschenhandel und Bordellbetrieb hingegen lehnen wir entschieden ab. Ein solches Vorgehen legalisiert nur die Ausbeutung, der Menschen, die in den meisten Gesellschaften ohnehin an den Rand gedrängt wurden und werden. Sie schafft keine Repressalien ab und sie ändert auch nicht die Polizei und ihr Vorgehen.

Prostitution ist kein Ausweg aus der Armut und es ist zynisch, sie als solche zu verkaufen. Sie beginnt mit Armut, hält die Frauen (und anderen) darin fest und führt in die Armut. Sie zerstört die Betroffenen.

Wir bitten daher alle Amnesty-Mitglieder und alle politisch wachen Menschen, sich in diesen Prozess aktiv einzumischen und sich zu informieren. In einigen Ländern – Schweden – sprach sich die Ländergruppe für das schwedische Modell aus. In anderen haben sich einzelne Ortsgruppen informiert und entweder für das schwedische/nordische Modell ausgesprochen oder eine Vertagung verlangt, damit alle Mitglieder umfassend informiert werden können und sich selber eine Meinung dazu bilden zu können.

Das nordische Modell umfasst:

  • Unterstützung und Begleitung der Menschen in der Prostitution bei Ausstiegswunsch
  • Unterstützung, Beratung und gesundheitliche Versorgung der Frauen (anderer) unabhängig vom Ausstiegswunsch
  • Schulungen der Polizei in Bezug auf die Anwendung des Gesetzes
  • Aufklärungskampagnen in der Öffentlichkeit und in den Schulen über einvernehmlichen Sex und darüber, dass es ein Aspekt von Gewalt ist, diesen einfach zu kaufen
  • Verbot von Bordellen, Laufhäusern und Zuhälterei
  • Freierbestrafung

Diese Punkte helfen Menschen wirklich. Ihnen zu sagen - ach wieso, Prostitution ist doch gut genug für Euch - und genau das wird ihnen gesagt und genau so fassen die indigenen Frauen weltweit das auch auf - hilft ihnen nicht.

Die Entkriminalisierung von Zuhälterei und erkauftem sexuellen Zugang zum Körper anderer hilft nicht. Sie beendet auch keine Männerbündnisse, Polizeikorruption oder ähnliches. Sie hilft nicht einer Frau in der Prostitution, sich gegen Gewalt zu wehren oder irgendjemanden anzuzeigen.

Hilfe bedeutet, sich auf die Seite der Menschen in der Prostitution zu stellen. Durch Kriminalisierung derer, von denen die Gewalt ausgeht.



Linkliste: 

Vorgelegter Entwurf in London:
http://de.scribd.com/doc/202126121/Amnesty-Prostitution-Policy-document

Zu den Hintergründen der Prostitutionslobby und dem Thesenpapier von Douglas Fox:
http://www.juliebindel.org/?p=92

Indigene Frauen in Kanada:
https://www.facebook.com/pages/We-want-more-for-Women/541389442550014

In Zusammenarbeit mit einer landesweiten kanadischen Initiative:
http://www.abolitionprostitution.ca/

Indigene Frauen im Pazifischen Raum:
https://www.facebook.com/notes/asian-women-coalition-ending-prostitution/statement-of-asia-pacific-meeting-of-sex-trafficking-and-prostitution-survivors/147825765284074
http://awcep.org

Indigene Frauen in Australien:
http://abolition2014.blogspot.de/2014/06/eingabe-einer-australischen-indigenen.html

Zu Aktionen und Informationen aus Chicago:
https://sna.etapestry.com/prod/viewEmailAsPage.do?databaseId=ChicagoAllianceAgainstSexua&mailingId=28259237&personaRef=240.0.138253458&jobRef=240.0.191532127&memberId=980008211&erRef=240.0.138253456&key=1b69ebedb52270034547abc5652ffac

... aus Großbritannien (Edinburgh):
http://abolishprostitutionnow.wordpress.com/2014/04/22/amnesty-international-uk-meeting-in-edinburgh-call-for-action-now/

... aus Australien:
http://abolishprostitutionnow.wordpress.com/2014/06/02/amnesty-members-in-australia-nordic-model/
http://abolishprostitutionnow.wordpress.com/2014/06/14/amnesty-making-the-exploited-conform-to-the-language-of-the-exploiters/

... aus Schweden:
http://liberationlanguage.wordpress.com/2014/05/10/amnesty-sweden-rejects-decriminalization-proposal/

Brief des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter an Amnesty International:
http://abolishprostitutionnow.wordpress.com/2014/05/08/jimmy-carter-to-amnesty-international-in-full-support-for-nodic-model/

und:
http://www.cartercenter.org/news/editorials_speeches/jc-canadas-prostitution-laws.html

Interview mit Jimmy Carter:
http://www.womensmediacenter.com/press/entry/exclusive-interview-with-president-carter-on-womens-media-center-live-with

Deutschsprachige Artikel zum Thema:
http://www.frauensicht.ch/Artikel/Koerper/Prostitution-Amnesty-Vorschlag-umstritten

http://www.emma.de/artikel/amnesty-international-fuer-frauenhaendler-313395

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